Sonntag, 30. August 2009

Sweet Sweetback's Baadasssss Song (1971)



Melvin van Peebles sammelte seine ersten Erfahrungen als Regisseur im Frankreich der 1960er Jahre und versuchte anschließend in Amerikas Filmszene Fuß zu fassen. Zu dieser Zeit, Anfang der 70er Jahre, hatte van Peebles bereits einige Erfahrungen als Autor, außerdem auch schon im Theater. Mit der Komödie „Watermelon Man“ inszenierte er dann seinen ersten US-Film für Columbia Pictures und damit für ein großes Studio – derzeit als einziger schwarzer Regisseur neben Ossie Davis und Gordon Parks. Zwar thematisierte schon dieser Film Rassismus, doch in Form einer nur leicht satirischen Komödie – auch wenn es van Peebles hoch anzurechnen ist, das er sich dem Druck der Produzenten widersetzte und die Schlusspointe nicht verwässerte. Trotzdem wurde ihm ein Deal angeboten, der ihm einen Vertrag über drei Filme sichern sollte und damit ein sorgenfreies Leben. Doch – ohne van Peebles zum Helden zu erklären – der eigensinnige Filmemacher ging seinen eigenen, steinigen und harten Weg und inszenierte statt einer Auftragsarbeit den Independent-Film „Sweet Sweetback’s Baad Assss Song“ und trat eine Strömung los, die heute gemeinhin als 'Blaxploitation' bekannt ist. Tatsache ist, frei von jeder Romantisierung, das der Film Maßstäbe gesetzt hat, eine völlig neue Ästhetik etablierte und als erster Vertreter des Black Cinema gelten darf.

Die Zuordnung zum Blaxploitation-Genre wirft in vielerlei Hinsicht ein falsches Bild auf das mit Herzblut inszenierte Risikoprojekt. Zum einen handelt es sich strenge genommen nicht einmal um den ersten Vertreter dieser heute kultisch verehrten Gattung – diese Rolle fällt vielmehr dem humoristischen Detektiv-Krimi „Cotton comes to Harlem“ von Ossie Davis zu, der schon vor „Sweetback“ alle Archetypen des Blaxploitation vereinte und der wahrscheinlich echte Pionier ist. Viel wichtiger ist jedoch eben, das „Sweetback“ eigentlich gar kein Blaxploiter ist. Bei van Peebles werden die thematisierten Probleme keineswegs ausgeschlachtet – sein Film ist voller unbändiger, echter Wut auf ein rassistisches System und darüber hinaus ästhetisch wohl durchdacht und mit einem hohen Kunstanspruch versehen. Erstmals war da ein Film von Schwarzen für Schwarze – so erscheint in den Credits „The Black Community“ als Darstellerangabe. Sämtliche Szenen wurden an Originalschauplätzen mit Laiendarstellern gedreht, die Dialoge sind direkt und im einfachen Stil der Gossensprache gehalten, die Kamera größtenteils verwackelt und der Schnitt stotternd. Die mangelnden Zugeständnisse an die Sehgewohnheiten des Massenpublikums machen es dem Film bis heute schwer, eine größere Verbreitung zu finden. Im Gegensatz zu seinen etlichen Nachfolgern, in welchen die Intention von „Sweetback“ nicht selten bis zur Unkenntlichkeit verzerrt wird, findet dieser Zwar rückblickend Lob und Anerkennung bei der Filmkritik, ein wirkliches Publikum bleibt ihm aber aufgrund seiner Sperrigkeit versagt. Ein ungesehener Klassiker also, der eine Entdeckung aber unbedingt lohnt, wagt man eine Auseinandersetzung mit der abenteuerlichen Inszenierung und der nur schwer erkennbaren Rahmenhandlung.



Bereits die erste Szene, die kurze Pre-Title-Sequenz macht deutlich, das man es hier mit einer anderen Art Kino zu tun hat. Eine Reihe schwarzer Frauen beobachtet neugierig einen kleinen Jungen, ausgemergelt und schmutzig, wie er sich nach offensichtlich langer Zeit herzhaft satt ist. Eine dieser Damen entführt den scheuen Teenager in ihr Zimmer und macht ihn zum Mann – hier erhält er seinen Namen und damit seine Identität. Der erste Sex wird zum Initiationsritus, der junge Sweetback wird in eine Welt eingeführt, in der Prostitution und Sexismus herrschen und in der sich schwarze Männer in erster Linie über sexuelle Klischees definieren. Sweetback wird hier verkörpert von einem gerade 13 Jahre alten Mario van Peebles, Sohn des Regisseurs. Dieses pikante Detail macht aus der besagten Sex-Szene einen denkbar kontroversen Opener, Mario van Peebles macht dabei einen verschüchterten und linkischen Eindruck, da van Peebles seinen eigenen Sohn dazu nötigte, diese Nacktszene zu spielen. Überraschend ist die detaillierte Darstellung: Natürlich handelt es sich um simulierten Sex, doch schon die Tatsache, das eine erwachsene Frau und ein 13-jähriger Junge gemeinsam nackt vor der Kamera spielen, hätte einen handfesten Skandal nach sich ziehen können. Was in diesem Fall wohl nur einer unter vielen gewesen wäre.



Zu Sweetbacks Mannwerdung erklingen Gospel-Gesänge aus dem Off, als der Vorspann einsetzt, wendet sich der Soundtrack dem Funk von Earth, Wind & Fire zu, die mit dem Score gleichzeitig auch ihr erstes Album produzierten. Sweetback erweist sich schon bei seiner ersten Nummer als wahrer König im Bett und wird während des Vorspanns und innerhalb des gleichen Aktes schließlich als erwachsener Mann gezeigt. Sweetback entwächst mit dem Erwachen seiner Sexualität seiner Kindheit – Melvin van Peebles spielt bewusst mit den Klischees des überpotenten Afroamerikaners und setzt diese zunächst ganz ins Zentrum der Aufmerksamkeit. So zeigt der Film nach den Credits eine bizarre Sex-Show, deren Hauptdarsteller Sweetback ist. Vor einem johlenden Publikum, bestehend aus Weißen und Schwarzen, besorgt er es einer Frau und wird wie eine Attraktion (quasi wie ein guter Zuchtbulle) gefeiert. Als Waisenjunge in das Hurenhaus gekommen, wurde Sweetback offensichtlich von den Prostituierten und prostituiert sich nun selbst. Ein politisches Bewusstsein existiert für ihn nicht und überhaupt spricht der Held in den ersten Szenen kein einziges Wort (im gesamten Film übrigens keine zehn vollständigen Sätze). Wortkarg ergibt sich Sweetback auch für ein Anliegen der Polizei, die ihn als Sündenbock verhaften will. Für einen Mordfall an einem Schwarzen muss ein Sündenbock her, der anschließend wieder entlassen werden soll – sowohl mit seiner Arbeit als auch dieser Gefälligkeit dient Sweetback (wenn auch unbewusst) dem tyrannischen System, in dem rassische Diskriminierung ein Regelfall ist. Auf der Fahrt zum Polizeirevier ändert sich jedoch all dies schlagartig und unvorhergesehen.



Auf jener Fahrt kommt eine Verhaftung dazwischen, ein Mitglied der Black Panther wird zu Sweetback in den Streifenwagen gedrängt – für diese einfachen Vorgänge lässt sich der Film enorme Zeit, lässt seinen lässigen Score erklingen und zeigt in den Impressionen der nächtlichen Großstadt seine Verwandtschaft zum avantgardistischen Kino. Die simple Handlung steht nicht im Mittelpunkt und auch äußere Spannung bezieht van Peebles nicht aus den Oberflächlichkeiten wie dem folgenden impulsiven Polizistenmord Sweetbacks. Als er mit ansehen muss, wie der andere Gefangene von den Polizisten brutal zusammen geschlagen wird, brennt eine Sicherung durch und so begeht er einen Doppelmord aus dem Affekt. Mit diesem Leinwand-Mord schüttelt Sweetback hunderte Jahre Unterdrückung, Sklaverei und Bevormundung von sich ab und begeht so den wohl bedeutendsten Befreiungsschlag für das afroamerikanische Kino. Hier wird aus dem Hengst Sweetback ein „Badass Nigger“, ein ganz neuer Charakter-Typus: Ein Schwarzer, der sich nichts gefallen lässt, auf Gewalt kompromisslos mit Gegengewalt reagiert und sich für nichts entschuldigt - anders als seine Nachfolger Shaft, Superfly und all die anderen ist Sweetback dabei aber nicht auf cool getrimmt. Melvin van Peebles spielt seine Hauptfigur selbst, was sich als gute Entscheidung erweist – die soliden darstellerischen Fähigkeiten des Regisseurs reichen für die Rolle allemal aus, da diese ohnehin keinen Marlon Brando benötigt. Wichtig ist die physische Erscheinung des Hauptdarstellers: In körperlicher Topform, stolz, gut aussehend, gepflegt und in einem schwarzen Western-Outfit gekleidet, gibt van Peebles der Black Community nicht nur eine Stimme sondern auch ein Gesicht.

In der Gestaltung des Films drückt sich van Peebles' Erfahrung in der französischen Kunst-Szene aus: Er arbeitet mit Verfremdungen, grellen Farbfiltern, verwackelter Kameraführung und Unschärfen, dazu ist fast jede Szene unter- oder überbelichtet. Dieser Bruch mit dem Mainstream-Kino hat nicht selten experimentellen Charakter, vor allem, da der Film kaum einen narrativen Faden verfolgt. Leitmotiv ist hier die Flucht, der Ausbruch aus dem System – so zeigen viele Sequenzen Sweetback beim Laufen, ohne das sie weitere erzählerische Funktionen erfüllen würden. Van Peebles propagiert eine Gemeinsamkeit, innerhalb der Black Community hilft man sich; selbstverständlich unter „Brüdern“. Die Flucht wird musikalisch untermalt von treibenden, aber niemals gehetzten Songs meist instrumentaler Natur – passend zur Stimmung Sweetbacks, der nie den Eindruck eines Flüchtigen macht sondern selbstbewusst seine trockene Lakonie bei behält. Im weiteren Verlauf wird er wieder von Polizisten gefangen genommen und misshandelt, bevor er aber endgültig abgeführt werden kann, helfen die Bürger des Ghettos ihm und zünden den Streifenwagen an. Diese Sequenz ist geeignet, um die kreativen Kniffe zu betonen, die van Peebles als versierten Independent-Filmer ausweisen: Ungeplant erschien die Feuerwehr am Drehort, was der Regisseur sofort für sich zu nutzen wusste. Sofort gab er Anweisungen, den Einsatz zu filmen und so viele gute Bilder wie möglich zu bekommen, bevor der Trouble vorüber war. Außerordentlich geschickt sind die wenigen Aufnahmen der Feuerwehrleute und -Fahrzeuge montiert, sodass der Eindruck einer aufwändig arrangierten Action-Szene entsteht. Anhand solch beeindruckender Einfälle erhält das sperrige Werk doch wiederum einen ganz eigenen Unterhaltungswert und einen funktionellen Rhythmus.



Gleichwohl „Sweetback“ mannigfaltige Probleme und soziale Missstände aufzeigt und direkt anprangert, ist es kein streng realistisches Kino. Zu artifiziell die Inszenierung, zu bewusst die beabsichtigte Vereinfachung. Van Peebles inszeniert auch kein intellektuelles Polit-Kino, will seinen Film auch für einfache und weniger gebildete Menschen zugänglich machen. Das ihm dies gelingt, verdankt er der echten Wut mit der sein Film aus dem Bauch heraus gemacht ist, woraus wohl auch der raue Ton resultiert. Das Frauenbild ist weitgehend beschränkt auf Prostituierte, von der misogynen Darstellung späterer Blaxploiter ist dies aber noch meilenweit entfernt. Im Gegenteil, van Peebles zeigt die Frau zwar als Ware, doch nicht um sie bloß zu stellen sondern um die unwürdigen Verhältnisse in den Ghettos aufzuzeigen, in denen vielen jungen Frauen keine andere Wahl bleibt, als ihren Körper zu verkaufen und sich damit selbst zur Ware zu machen in einem kapitalistischen System. Sweetbacks politisches Engagement wächst mit voran schreitender Laufzeit, was sich ganz selbstverständlich aus den einzelnen Stationen seiner Odyssee ergibt. Zunehmend wird er mit Diskriminierung konfrontiert und beginnt mit den Ideen der Black Panther zu sympathisieren. Diese erklärten „Sweetback“ schließlich sogar zum Pflichtfilm für jedes ihrer Mitglieder und halfen damit entscheidend bei der schwierigen Vermarktung des Films.

Letztendlich durchläuft der Titelheld eine Abfolge des immer gleichen Szenarios: Sweetback wird gehetzt, gefangen und gedemütigt – nur um erneut selbstbewusst zu fliehen. Nicht umsonst erinnert die finale Hatz, bei der die Polizei mit scharfen Hunden arbeitet, an die Jagd auf einen entflohenen Sklaven. Zum Schluss entkommt Sweetback über die Grenze, lässt seine Verfolger hinter sich und steht als Sieger dar – er stirbt nicht als Märtyrer sondern bleibt unter uns. Die Entscheidung, seinen moralisch ambivalenten Anti-Helden überleben zu lassen ist schließlich die endgültige Revolution. Abschließend lässt sich sagen, das „Sweetback“ reichlich oberflächlich und reißerisch mit seinem Thema umgeht. Unbestreitbar ist jedoch die Ernsthaftigkeit, mit der van Peebles seinen Film realisierte und vor allem die Notwendigkeit einer Vereinfachung. Eine unterdrückte Stimme muss manchmal zu perfiden Mitteln greifen um gehört zu werden – in dieser Hinsicht mag man den Film sogar als höchst manipulativ empfinden. Dennoch bietet er unterm Strich einige umwerfend montierte Sequenzen und kann als Geburtsstunde einer echten afroamerikanischen Ästhetik bezeichnet werden. Leider waren nur wenige Blaxploitation-Filme an ähnlichen Schwerpunkten interessiert – dazu zählen unter anderem „The Education of Sonny Carson“ und „Cornbread, Earl and me“. Doch keiner dieser, mitunter durchaus beachtlichen, Nachzieher sollte eine ähnliche Intensität erzeugen wie „Sweetback“ - das unverfälschte Original.

9,5/10

Trailer:



(Review ist auch erschienen in der filmzentrale)

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