Donnerstag, 18. Juni 2009

Filmtagebuch: Neuer Deutscher Film (I)

In der letzten Zeit habe ich mich etwas eingehender mit dem jüngeren deutschen Film auseinander gesetzt und kann mich den allgemeinen Hasstiraden nicht unbedingt anschließen. Hier nun meine ersten Kurz-Reviews zum deutschen Film, weitere folgen in Kürze:



Free Rainer – Dein Fernseher lügt (2007)
Ein einziges überproduziertes Hassobjekt von einem Film. Weingartners Machwerk nimmt sich dermaßen überheblich, das sich Arroganz des Regisseurs schon in den Anfangsminuten gänzlich entlarvt. Ebenso ungeschickt wie plump versucht sich der Film zunächst an satirischer Überzeichnung (Moritz Bleibtreus hirnverbrannt-trashige Autofahrt), fährt den Karren aber schon hier in den Dreck. Keine Pointe sitzt und die sensationslüsterne Optik des Trivialfernsehens zu kopieren erfüllt keinen tieferen Sinn. Nebenbei wird jede noch so sichere Pointe verfehlt und wenn man als Zuschauer schon ans Abschalten denkt, kommt es richtig dick. Der Hauptcharakter macht eine fixe Wendung zum idealistischen Revolutionär durch und von nun an legt das debile Drehbuch jede Aussage des Films direkt in den Mund des Hauptdarstellers. Der schleudert von nun an abgestandene, pseudo-linksintellektuelle Phrasen um sich und vollzieht mit einer Handvoll klischeehaft gezeichneten Hartz IV-Empfängern und zwei gleichgesinnten einen Wandel in Deutschland. Die Menschen werden zum Denken bewegt, sind doch gar nicht so blöd – und erleben eine Kulturrevolution. Ab jetzt gibt es dann absolut hochwertige TV-Unterhaltung – Beispiel gefällig? Ein Kandidat wirft einen Ball auf eine Leinwand und anschließend liest ein Prominenter aus einem zufällig ausgewählten Klassiker. Wer hier schon Kotzkrämpfe erleidet, der wappne sich für ein naives, utopisches Ende, das die eigenen „revolutionären“ Ideen (die nur ein abgeschmackter Aufguss der 68er-Gedanken sind) selbstherrlich feiert. Abgrundtief ekelhaftes Kino, für das Weingartner offensichtlich ein großes Budget anvertraut wurde – zu keinem Zeitpunkt lässt er wirkliche Ironie erkennen, Subtilität ist wohl ein Fremdwort für den jungen Regisseur, der auf der unerträglich hohlbirnigen Audiokommentar-Spur den Eindruck eines eitlen Pimpfes macht, der seine flache „Mediensatire“ tatsächlich für ein philosophisches Schwergewicht hält und uns wohl auch in Zukunft nicht in Ruhe lassen wird. Der Spagat zwischen greller Satire und betont ernst gemeinter Melodramatik gelingt im übrigen keineswegs, auch stilistisch stellt „Free Rainer“ also eine Katastrophe sondergleichen dar. Man beachte, wie geschickt der Film ein paar wenige unbekanntere (und wirklich schockierende) Fakten einstreut und damit wichtig und brisant erscheinen will – dabei zeugt dies höchstens von einer ordentlichen Recherche...(01/10)

Die Bluthochzeit (2005)
Basierend auf einem belgischen Comic, fehlt dem Film jeglicher Sinn für das Absurde, sodass die groteske Ausgangssituation sich schnell abnutzt und spannungslos vor sich hin dümpelt. Den Dialogen fehlt jeglicher Sinn für humoristisches Timing, die kruden Geschmacklosigkeiten fallen allesamt harmlos und wenig erheiternd aus, die Figuren bleiben uninteressant und werden kaum ausgestaltet. Look und Erzähltempo sind viel zu sehr in der Realität verankert um den wahnsinnigen Zügen dieser Geschichte gerecht zu werden, weshalb Handlungsverlauf vor Unglaubwürdigkeiten und Logik-Löchern nur so wimmelt. Selbst die Zugpferde Armin Rohde (den ich sehr schätze) und Uwe Ochsenknecht (der immerhin ein solider Darsteller ist) lassen keine Spielfreude erkennen, passen sich an den behäbigen Stil des Films an und schalten wohl auf Autopilot. Wie das Ganze am Ende ausgeht interessiert dann wohl nur noch die Wenigsten, vor allem, weil bis zum Schluss jede Figur schablonenhaft bleibt. Wer dann eigentlich gestorben ist (und auf diese letztliche Eskalation schielt schließlich der gesamte Film), ist am Ende herzlich egal. Als überzeichnetes Portrait familiären Verfalls lassen sich Ansätze ausmachen (die wohl der mir unbekannten Vorlage entstammen, nehme ich jetzt einfach mal so an), die aber genauso wenig vertieft werden wie die Story verdichtet. (02/10)

Kurz und Schmerzlos (1998)

Das Kino-Debüt von Fatih Akin profitiert von dessen scharfer Beobachtungsgabe, die den inszenatorischen Details spürbare Authentizität verleiht. Jenseits bekannter Immigranten-Klischees beschreibt der Film die Lebensumstände dreier Freunde unterschiedlicher Herkunft exakt und emotional nachvollziehbar. Zum Ende hin verliert sich die Realitätsnähe in einer überflüssigen dramatischen Zuspitzung, deren tragischer Ausgang nicht den gewünschten Effekt erzielt sondern dem Film im Gegenteil viel an Kraft raubt. Als Auftakt einer künstlerisch wie kommerziell erfolgreichen Karriere kann man „Kurz und schmerzlos“ rückblickend einen gewissen Stellenwert nicht absprechen. Es ist der Film eines jungen Regisseurs, dessen Ziele schon erkennbar sind, auch wenn sie scheinbar noch nicht klar vor Augen lagen. In den besten Szenen inszeniert Akin bereits mit souveräner Leichtigkeit, was vor allem im Zusammenspiel der drei Hauptakteure sichtbar wird. Weniger gelungen sind gewollt kultige Einspieler wie ein fader Monolog mit dem Thema „der Tag, an dem ich aufgehört habe zu kiffen“. Das Ensemble überzeugt durchweg mit einer Schwachstelle: Ralph Herforth weiß überhaupt nicht zu überzeugen, wirkt überfordert und unfreiwillig komisch.(05/10)



Nordwand (2008)
Mit dem Bergfilm beschwört der erfolgreiche Videoclip-Regisseur Philipp Stölzl ein urdeutsches Filmgenre herauf, das längst in den Untiefen der Filmgeschichte verschollen schien. Stölzl lässt es sich nicht nehmen, sich ästhetisch auf die vorbelasteten Vorbilder von Leni Riefenstahl (wie schon in seinem umstrittenen Rammstein-Video „Stripped“) und Luis Trenker zu stützen und bildgewaltig jene Themen anklingen zu lassen, die wie geschaffen waren für die Blut-und-Boden-Ideologie der Nazis und dementsprechend korrumpiert wurden: Opferbereitschaft, Kameradschaft, der Sieg der menschlichen Natur über ihre eigenen Grenzen. Bei allem Anachronismus vergisst Stölzl nicht, das Genre an sich zu reflektieren – dies geschieht elegant über eine Nebenhandlung, in der die journalistischen Bemühungen thematisiert werden, die beiden Gipfelstürmern zu arischen Heldenfiguren zu stilisieren. Diese klugen Beobachtungen werden leider etwas verwässert durch eine redundante Liebesgeschichte, die reichlich Pathetik in den ohnehin schon emotional aufgeladenen Stoff bringt. Nicht zuletzt durch die herausragende Kameraführung entstehen atemberaubende Bilder vor malerischer Kulisse – rein formell ist der Film ein Traum und wird auch den großen Vorbildern gerecht, braucht sich diesbezüglich ebenfalls nicht hinter einschlägigen Hollywood-Filmen verstecken. Eine Vertiefung der genre-dekonstruierenden Elemente findet leider nicht statt - dennoch ist „Nordwand“ ein packendes, kerniges und bildgewaltiges Filmerlebnis geworden, in dem das Scheitern von Beginn an fest steht und so in den Mittelpunkt rückt. Für den ultimativen Abgesang auf den Bergfilm reicht es zwar nicht, dennoch unterm Strich ein hervorragend inszeniertes und in den Hauptrollen sehr gut gespieltes Abenteuer mit tragischem Ausgang...(7,5/10)

Ghetto (2006)
Möchtegern-bildungsbürgerliche Geschichtsstunde, trocken wie ein altes Stück Zwieback. Völlig überforderte Darsteller latschen durch triste Originalkulissen und sollen dabei Geschichte lebendig werden lassen. Die statische und einfallslose Stilistik ermüdet schon nach kurzer Zeit und auch erzählerisch hat der Film rein gar nichts zu bieten. Was in der Vorlage auf der Bühne vielleicht noch funktionieren mag, verkommt hier zum eintönigen Gedenkfilm zur Erinnerung an das Schicksal der litauischen Juden. Das respektable Ansinnen, diesen weniger bekannten Teil der Geschichte ins Licht der Aufmerksamkeit zu rücken, reicht längst nicht aus um den Film zu tragen. In seiner bemühten, letztlich aber zu galtten Umsetzung, schwimmt der Film im Fahrwasser von Mainstream-Vergangenheitsbewältigung wie „Schindlers Liste“ und versagt als ernst zu nehmende Auseinandersetzung völlig. Spätestens wenn die Ereignisse am Ende ihren unvermeidlich tragischen Lauf nehmen, verliert der Film jede Substanz und verkommt zur kalten Farce...(03/10)

Mein Führer (2007)
Vieles an diesem stimmt, vieles allerdings nicht. Um es kurz zu machen: Dani Levy zieht sprichwörtlich den Schwanz ein und verschenkt sämtliche kontroverse Schärfe, die in der ursprünglich geplanten Fassung durchaus reichhaltig vorhanden war zugunsten einer eher harmlosen Komödie, die leider mit einer bitterlich misslungenen Sequenz endet. Vorher hat man es aber immer noch mit einem prächtig ausgestatteten und vorzüglich gespielten Film zu tun, mit Helge Schneider in seiner ersten echten Rolle. Alleine der Hautdarsteller ist es wert, sich „Mein Führer“ anzusehen, so wunderbar nuanciert und ambivalent zeichnet dieser den demoralisierten Diktator. Auch Ulrich Mühe zeigt eine brillante Leistung, da gibt es nichts. Insgesamt aber leider ein Film, dem all die verspielten Chancen zu Gesicht stehen, der aber auch den besten komischen Hitler seit Chaplin zu bieten hat. Sehens- und diskussionswert, was sicher nicht das schlechteste ist, was sich über einen Film sagen lässt...(06/10)



Wolke 9 (2008)
Das viel beachtete und im Feuilleton umjubelte Meisterstück von Andres Dresen hat für mich alle Erwartungen erfüllt. Dem Tabu-Thema „Sexualität“ im Alter begegnet er ohne Verkrampfungen oder Kino-typischen Eskapismus. In den drei Hauptrollen absolut uneitel und einfühlsam gespielt, kinematografisch extrem nüchtern und naturalistisch gefilmt. Das gilt sowohl für explizite Sex-Szenen als auch für intensive, authentisch geführte Dialogpassagen, die größtenteils improvisiert wurden. Ohne schmückendes Beiwerk wie Hintergrundmusik oder künstlich erhöhtes Tempo begleitet der Film seine Figuren bis in die intimsten Momente, was zugleich schonungslos und ergreifend ist. Stilsicher, unprätentiös und in all seiner bitteren Tragik schmerzlich lebensnah...(09/10)

Kirschblüten (2008)
Vielleicht der bisher beste Film von Doris Dörrie. Psychologisch sehr genau gezeichnete Figuren helfen über so manchen allzu bemühten Dialog hinweg. Ohne langweilig zu werden oder das schwermütige Thema sentimental zu verklären, gelingt Dörrie eine glaubwürdige Reflexion allgegenwärtiger Fragestellungen rund um Alter, Verlustkompensation und spirituellen Abschied. Obwohl die Sezierung familiärer Reibereien teilweise punktgenau ausfällt widmet sich der Film einfach zu lang diesen Teilaspekten, auf denen aber klar ersichtlich nicht der Schwerpunkt liegt. Erst die Verlagerung des Handlungsortes nach Japan fördert auch die metaphysischen Anliegen zu Tage, die dann leicht zu kurz kommen. Mit dem Ortswechsel lösen farbenfrohe Aufnahmen von lyrischer Schönheit die zuvor karg gehaltenen Kulissen ab, mit dem die jahrelang eingefahrene Tristesse der deutschen Heimat eingefangen wurde. Mit der übermäßig symbolischen Bildsprache meint es der Film manchmal zu gut, gehört aber dennoch zu den besten deutschen Filmen seines Jahrgangs...(07/10)

Kurzfilme:

Menschenkörper (2004)
Kafka ist unverfilmbar und daran scheitert auch „Menschenkörper“, eine modernisierte und freie Adaption der Kurzgeschichte „Ein Landarzt“. Zu sehr hangelt sich die bizarre Story an der Vorlage entlang und gelangt zu einem unbefriedigenden, aufgebläht-bedeutungsschwangerem Ende. Bemerkenswert ist aber die formale Professionalität – Ausleuchtung, Kameraführung, Schnitt und atmosphärische Entwicklung erreichen ein sehr hohes Niveau für eine Produktion dieser Größe...(04/10)

My Little Boy (2007)
Entstanden als Studentenfilm an der IFS in Köln, hat dieses trockene Schwulendrama nicht wirklich etwas zu erzählen. Wie auch in „Ghetto“ reicht es einfach nicht, ein relativ vernachlässigtes geschichtliches Kapitel aufzugreifen (hier die Verfolgung von Homosexuellen im Dritten Reich) um dem Zuschauer eine nahe gehende Geschichte zu vermitteln. Solide gespielt, bleiben die beiden Hauptfiguren simple Schablonen, der emotionale Konflikt lässt kalt. Leidlich interessant ist die Gegenüberstellung leidenschaftlicher Selbstanerkennung und der daraus resultierende Flucht- und Freiheitsdrang im direkten Vergleich zum opportunistischen Rückzug in den Untergrund und damit die alltägliche öffentliche Selbstverleugnung. Unterm Strich für einen frühen Gehversuch akzeptabel aber ohne jede Relevanz...(2,5/10)

4 Kommentare:

  1. Ja, Schneider und Mühe sind der Grund dafür, daß ich den Film zu Ende geguckt habe. Mir war der ansonsten aber wirklich zu harmlos. Schneider hatte zum Schluß nicht umsonst keinen Bock mehr und hat sich distanziert. Free Rainer habe ich mir gar nicht erst angeschaut, nachdem ich die Inhaltsangabe gelesen hatte.

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  2. Es ist aber doch noch erkennbar, was für ein Film es hätte werden können. Immerhin scheitert er also auf hohem Niveau, Schneiders Reaktion ist aber verständlich.

    Ein bisschen mehr hätte ich von FREE RAINER schon erwartet - das er ein solcher Hassfilm wird, hätte ich nicht gedacht. Hab den auch nur bis zum Ende durchgestanden, weil es so unglaublich ist, was einem Weingartner verkaufen will...

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  3. Zustimmung auch von mir zu "Mein Führer". Das war in der Tat über weite Strekcen einfach zu harmlos. "Kirschblüten" möchte ich auch noch sehen, richtig einhaken jedoch bei "Wolke 9":

    Ich halte "Wolke 9" für einen Prinzip sehr guten Film, der sich aber am Ende vieles selber wieder kaputt macht, was er sich vorher augebaut hat. Ich gebe dir recht, schauspielerisch auf ganz hohem Niveau, gelingt es Dresen das Tabu(?) Sex im Alter wunderbar zu thematisieren, aber nicht nur das: Auch die Frage nach den Bedingungen des Zusammenseins wird ja von Dresen eindrüclich thematisiert.

    Was mir nun überhaupt nicht gefällt - ja ich möchte fast sagen: Es ist richtig schlecht - ist die Auflösung des Ganzen von Dresen. Dort auf einmal bedient der Film konventionelle gesellschaftliche Stereotypen, erhebt den sprichwörtlichen Zeigefinger, und propagiert moralische Dogmen, die eine eindeutige Haltung implizieren.

    Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte der Film nach dem Auszug von Inge mit der Szene geendet, in der ihr Mann aus dem nächtlichen Fenster sieht. Alles was danach kommt, belegt Inge (und so spielt sie es ja auch: "Das habe ich nicht gewollt!!!"), mit einer Art moralischen Schuld, wird von Dresen also als Schuldige gestempelt. Und darum ging es ja Dresen und dem Film ja gerade nicht...

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  4. Interessante Sicht, die ich aber auch nach einigem nachdenken nicht teilen kann.

    Allerdings muss ich sagen, das mir das Ende auch nicht ganz geschmeckt hat, wenn auch aus anderen Gründen. Für mich war das einfach zu sehr abgerundete Tragödie, einfach too much.

    Aber imo soll das Ende sicher nicht implizieren, "hätte sie ihn nicht verlassen wäre das alles nicht passiert".

    Aber das ist nun einmal Drama: Menschen tun anderen weh, nur weil sie auf ihre Gefühle hören. Von den drei Hauptfiguren musste mindestens eine verletzt werden.

    Einen moralischen Zeigefinger sehe ich nicht, nur eine auswegslose, tragische Situation, die für alle Beteiligten zur Belastungsprobe wird...

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